Erziehungspflicht (verfasst von Herbert Weiß)

Vor Jahren hat ein Jurist im Rahmen eines Vortrags, den ich miterlebt habe, gefordert, den Ausdruck „Erziehungsberechtigte“ durch „Erziehungsverpflichtete“ zu ersetzen. Eine gewagte Forderung?

Carina Kerschbaumer beschäftigte sich vor wenigen Tagen in der Kleinen Zeitung mit den Auswirkungen der Nutzung von Smartphones von Kleinkindern und der Vorbildwirkung der Eltern. (1) Sie erwähnte in ihrem Artikel eine US-amerikanische Studie, die eindeutig zeige, dass der Großteil der Aufmerksamkeitsstörungen von Kindern und Jugendlichen auf die übertriebene Nutzung von Handys und die zu langen Bildschirmzeiten zurückzuführen sind. Carina Kerschbaumer regt für Eltern eine „Einführung in die Entwicklung des Gehirns und über das Schrumpfen ganzer Nervenzellstrukturen“ durch den falschen Umgang mit modernen Medien an. Es brauche einen Weckruf, einen, der auch aufzeigt, „auf welch unterschiedlichen Wegen Bildung ‚vererbt‘ wird“. Den Weckruf braucht es aber auch für die Schulen. „Schüler:innen, die digitale Geräte bis zu einer Stunde pro Tag zum Lernen in der Schule nutzen, erzielten in Mathematik im OECD-Durchschnitt 24 Punkte mehr als Schüler:innen, die digitale Geräte nicht zu diesem Zweck verwenden. […] Eine übermäßige und/oder schlechte Nutzung digitaler Geräte scheint die Leistungen jedoch zu beeinträchtigen. Die Ergebnisse aus PISA 2022 bestätigen, dass bessere Regeln für den Umgang mit digitalen Geräten in Schulen benötigt werden.“ (2)

In einer Zeit, in der viele die IT für die Lösung aller Probleme an den Schulen halten, gleichzeitig aber auf uns Lehrer:innen als Ersatz für jene Eltern setzen, die ihre Erziehungspflicht vernachlässigen oder von ihr schlichtweg überfordert sind, fordere ich die Politik zum Nachdenken auf. Wenn wir uns an den Schulen in einem oft zeitintensiven schulpartnerschaftlichen Meinungsbildungsprozess auf Verhaltensvereinbarungen verständigen, müssen wir diese auch mit Leben erfüllen und Verstöße gegen sie sanktionieren, ohne dass dann vorgesetzte Dienstbehörden oberklug eingreifen.

Wer uns einen Teil der Erziehungspflicht überträgt – und wahrscheinlich ist dies ein Gebot der Stunde –, muss uns auch das zugehörige Erziehungsrecht übertragen.

(1) Wenn Eltern mehr wüssten … In kleinezeitung.at vom 20. Jänner 2024.

(2) OECD (Hrsg.), PISA 2022 Ergebnisse, Band I. Lernstände und Bildungsgerechtigkeit (2023), S. 242.

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